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Sonntag, 12. Mai 2019

English Fried Chicken - ein Klassiker aus dem 18. Jahrhundert


Beim Stichwort Fried Chicken denkt man vermutlich zunächst an die amerikanischen Südstaaten, an alte Männer mit weißen Anzügen im "Vom Winde verweht"-Stil und knusprige Hühnerteile in Pappeimern. England wird einem da eher weniger in den Sinn kommen und selbst wenn, würde man auf der Suche nach einem Rezept sicher nicht zum Lexikon greifen. Das ist aber nicht immer so gewesen, denn scheinbar waren im Teigmantel ausgebackene Hühnerstücke auf der Insel schon im frühen 18. Jahrhundert sehr beliebt. Also entführe ich euch heute im Rahmen meiner losen Reihe "Gerichte mit Geschichte" in das Jahr 1736 und wir schauen dem Lexigrafen und Sprachforscher Nathan Bailey über die Schulter, der gerade sein Werk "Dictionarium Domesticum" beendet hat und es noch im selben Jahr veröffentlichen wird.

Bailey hatte schon einige Wörterbücher und Enzyklopädien herausgebracht und auch dieses "Heimische Lexikon" ist alphabetisch geordnet. Fried Chicken findet man dann natürlich auch unter "M" wie
marinades. Macht doch Sinn, oder?


Als Jonathan Townsend das Rezept 2016 auf seinem YouTube-Channel "Townsends" veröffentlichte, schlug es in der englischsprachigen Foodie-Szene wie ein Bombe ein, man könnte hier fast von einem viralen Hit sprechen. Ein dreihundert Jahre altes Rezept, das vertraut aussieht, jedoch einige unerwartete Schritte aufweist. Das birgt schon eine Menge an Anziehungskraft.

Da das Dictionarium Domesticum auch online (zum Beispiel im PDF-Format) zu finden ist, kann für die Authentizität gebürgt werden. Außerdem ist Townsend ein Kenner des 18. Jahrhunderts. Man darf nur nicht vergessen, dass er aber auch einen Online-Handel für Kleidung und andere Dinge aus dieser Zeit betreibt und natürlich in erster Linie Geld verdienen will.


Alte Rezepte geben oft keine genauen Mengen an. Sie vertrauen hier auf die Erfahrung, das Gespür und den Geschmack des Kochs. Wir nehmen als Marinade für ein zerteiltes Huhn:
  • 2 große Zitronen
  • 120 ml Essig
  • 4 Frühlingszwiebeln
  • 2 Lorbeerblätter
  • 1 TL Nelken
  • Salz
  • Pfeffer 
In England wird man (nicht nur) zu dieser Zeit vermutlich Malt-Vinegar, also Malzessig verwendet haben. Cider- oder Apfelessig ist auch eine schöne Alternative. Verjus, ein säuerlich Saft aus unreifen Trauben gepresst, ist ebenfalls eine authentische Säurequelle. 

Frühlingszwiebeln in Ringe schneiden, Zitronen auspressen. Nelken fein mörsern oder mahlen. Wir brauchen in etwa einen Viertel Teelöffel. Zutaten vermischen.


Ein Huhn in je zwei Unterschenkel, Oberschenkel, Bruststücke und Flügel teilen. Das Rückenstück friere ich für Fonds ein und nehme stattdessen ein weiteres Hühnerbein (ebenfalls am Gelenk geteilt) dazu.

In die Marinade geben und drei Stunden ziehen lassen.

Soviel Säure mag seltsam erscheinen, aber ich denke, es hat neben dem hygienischen Aspekt - auch in Indien werden Hühnerstücke mit Säure "desinfiziert" - ebenfalls zartmachende Eigenschaften, vom geschmacklichen Zugewinn ganz zu schweigen. Dazu aber später mehr. 


Letztlich ist es doch nahelegend, dass in einem Land, in dem frittierter Fisch in Knusperhülle beliebt ist, dies auch mit anderem Fleisch versucht wird. Anders aber als beim fish & chips machen wir aber keinen Bierteig, sondern nehmen Wein als Flüssigkeit.
  • 350 g Mehl
  • 250 ml Weißwein oder Cidre, notfalls Wasser
  • 3 Eigelb
  • 4 g Salz
Mehl in eine Schüssel geben und unter Rühren soviel Wein angießen, das ein klumpenfreier, dickflüssiger, pfannkuchenartiger Teig entsteht. Dotter und Salz unterrühren.


Das Huhn hat nun schon durch die Säure ein wenig "kalt" gegart, in etwa so, wie beim Ceviche. Wir nehmen es aus der Marinade, tauchen es in den Teig und lassen es es etwas abtropfen. 


In der Zwischenzeit haben wir schon unser Öl erhitzt. Ich nehme dazu meinen gusseisernen Wok. Temperaturen messe ich nie. Das Öl ist gut, wenn an einem eingetauchten Holzsstäbchen Blasen aufsteigen.

Fleisch ins Fett geben und ausbacken. Ich mache das in zwei Etappen, damit der Wok nicht zu voll wird und die Temperatur des Öls sinkt.

Ich habe hier, wie gesagt, Öl genommen. Klassisch hätte man das eher in Schweine-, Gänse- oder Butterschmalz gemacht. 


Doppelt frittieren hilft immer, eine besonders schöne Kruste zu bekommen. Nach zehn Minuten darf das Huhn kurz auf einem Gitter abtropfen, bevor ich es dann nochmals fünf Minuten weiter brutzeln lasse.


Zum Muttertag die Mutter aller Fried Chicken-Gerichte. Mit Möhrchen und Kartoffelbrei ein vollwertiges Sonntagsessen. Das Grüne auf dem Huhn ist übrigens frittierte Petersilie, die laut Townsend zu diesem Gericht gehört.


Saftiges Fleisch, knusprige Hülle - so muss das. Dazu die leichte Säure am Fleisch, die fantastisch mit dem Hauch von Nelke harmoniert. Der Wein, obwohl ein trockener Riesling,  gibt der Teighülle einen minimalen Anflug von fruchtiger Süße, was wiederum genial zu den oben genannten Aromen passt. Für mich eins der leckersten fried chicken-Rezepte, die ich probiert habe. Aber was dreihundert Jahre lang gut war, kann ja nicht über Nacht plötzlich schlecht sein, oder?
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Flashback: 


Heute vor zwei Jahren: Ragù mit getrockneten Steinpilzen

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