Donnerstag, 9. Juli 2020

Ma Yi Shang Shu - Ameisen klettern auf einen Baum


Es ist die alte Geschichte. Das betagte Mütterchen auf dem Lande kann nicht mehr so gut kauen, also bereitet ihre Tochter für sie Nudeln mit Hackfleisch zu, um das kaum noch vorhandene Gebiss der greisen Seniorin zu entlasten. Nun sind Omas Augen auch nicht mehr die besten und als sie sich ein Portion mit den Stäbchen zum Mund führen will, erschrickt sie, denn sie hält die Hackfleischkrümelchen für Ameisen. So oder so ähnlich ist der Name "Ameisen auf dem Baum" oder Mǎ yǐ shàng shù (蚂蚁上树) für dieses Gericht entstanden. Wie immer gilt aber bei solchen Anekdoten: wenn sie schon nicht der Wahrheit entsprechen, sind sie zumindest gut erfunden. Nicht erfunden ist die Tatsache, dass unsere Ameisen hier auf jeden Fall in die Top Ten der Gerichte aus der chinesischen Provinz Sichuan gehören. Gegenüber den sonstigen Gepflogenheiten der Region ist diese Nudelklassiker vergleichsweise mild, bietet aber trotzdem die typischen Aromen und ist somit vielleicht als Einstieg in diese Küche geeignet.


Es ist nicht leicht, als Rechtshänder die Stäbchen mit links zu halten, weil  man ja die rechte Hand zum Fotografieren braucht, da der Abzug ja nun mal auf dieser Seite sitzt. Trotzdem kann man mit einiger Phantasie und zusammengekniffenen Augen vage die Ameisen erkennen., die sich da im Geäst des Baumes (also den Nudeln) tummeln. 


Ich hatte dieses Gericht schon einmal hier gemacht und zwar irgendwann am 1. April 2014. Das habe ich dann, dem Datum entsprechend, unheimlich "witzig" geschrieben. Fand ich damals zumindest. War ja auch egal, zu dieser Zeit hat hier kein Schwein mitgelesen. Das Rezept - gefunden bei Fuchsia Dunlop - war damals aber genauso authentisch, wie das heutige, wenn auch in mancher Hinsicht anders. 


Außer den fantastischen Büchern der Sichuan-Expertin Dunlop und dem bereits öfter erwähnten Channel Chinese Cooking Demystified ist eine meiner liebsten Quellen für die Küche Sichuans der Kanal von Wang Gang. Dieser junge Koch lebt dort und veröffentlicht sehr lehrreiche Videos, teilweise sogar mit englischen Untertiteln. Aber auch ohne kommt man nach einiger Zeit ganz gut klar. Man muss nur damit leben können, dass da hin und wieder auch mal ein Fisch oder so vom Diesseits ins Jenseits befördert wird. Aber das ist das wahre Leben, authentischer geht es kaum. Ich habe mich heute an Gangs Rezept gehalten und der erste Unterschied zu allen anderen Rezepten für dieses Gericht ist, dass er keine Glas- oder Mungobohnennudeln, sondern welche aus Süßkartoffeln nimmt. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber der Unterschied in Geschmack und Textur ist nicht wirklich spürbar. 


Ich habe die Zutaten von Herrn Gang auf drei Portionen hochgerechnet.
  • 300 g Süßkartoffelnudeln
  • 1 TL Sichuanpfefferbeeren (nicht im Bild)
  • 200 g Schweinbauch ohne Schwarte und Knochen
  • 3 Knoblauchzehen 
  • 4 cm Ingwer
  • 2 eingelegte Chili (oder mehr nach Geschmack)
  • 2 EL Chili-Bohnenpaste (Toban Djang)
  • 2 EL helle Sojasauce
  • 1 EL dunkle Sojasauce
  • etwas Salz
  • etwas Zucker
  • 4 Frühlingszwiebeln
  • 2 chinesischen Schnittsellerie (ich habe ersatzweise die dünnen Stiele einer Knolle genommen)
  • 2 EL Sichuanpfefferöl
  • Öl
Herr Gang nimmt noch MSG, ich verzichte darauf.

Hier ist auch schon der zweite gravierende Unterschied zum alten Rezept: keine Brühe oder sonstige Flüssigkeit. Und es wird trotzdem saftig und kein bisschen trocken.

Knoblauch und Ingwer schälen, zusammen mit den eingelegten Chili klein hacken. Frühlingszwiebeln und Sellerie in kleine Stückchen schneiden. Wer möchte, gibt noch etwas Grün von einer jungen Knoblauchknolle hinzu.


Die Nudeln, soweit es geht, mit einer starken Schere halbieren, in eine Schüssel geben, mit sehr heißem kochendem Wasser übergießen und fünfzehn Minuten quellen lassen. Dann abgießen, kalt abschrecken, abtropfen und beiseite stellen.


Das Fleisch erst in Streifen schneiden und dann fein würfeln.


Anschließend mit dem Küchenbeil zu groben Hackfleisch verarbeiten. Man kann das natürlich auch wolfen (ich würde hier die große Lochscheibe nehmen) oder fertig kaufen, dann läuft man aber Gefahr, dass das Fleisch zu mager ist. 


Öl im Wok erhitzen und Sichuanbeeren anbraten, bis sie duften. Kann man jetzt wieder rausnehmen oder auch drin lassen. Es ist eine freie Welt.


Fleisch hinzufügen und bei mittlere Hitze krümelig braten. So hat das Fett etwas Zeit, ins Öl hineinzuschmelzen. Dann Knoblauch, Ingwer und eingelegte Chili mit einer eleganten Handbewegung dazu geben.


Beginnt das Ganze schön zu duften, darf auch die Chili-Bohnenpaste in den Wok.


Hat das Öl nun eine schöne rote Färbung angenommen, kippen wir die Nudeln ins Bratgefäß. Diese werden nun ein paar Mal schön durchgeschwenkt, so dass sich alle Zutaten etwas näher kennenlernen können. Wir gießen nun die Sojasaucen am Rand ein und würzen mit Salz, Zucker und Sichuanpfefferöl.


Zu guter Letzt heben wir die Lauch- und Selleriestückchen mit unter. Noch ein paar mal gut durchgerührt und fertig.


So darf das dann aussehen.



Da fühlt man sich wie die blaue Elise. Komm her du Ameise!


Ameisen klettern auf einen Baum ist ein typisch rustikales Gericht, wie man es zu Hause kochen würde. Deshalb zählt es auch unter den 23 Geschmacksprofilen Sichuans zur Kategorie Jiācháng wèi xíng (家常味型), also home style. Aber gerade diese Dinge sind ja meist die besten.
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Flashback:


Heute vor fünf Jahren: Baguettes alla Puttanesca

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