Sonntag, 15. November 2020

Poulet Gaston Gérard


Das ist mal wieder eins der Gerichte, die schon länger auf meiner Liste standen und auf die ich mich irgendwie gefreut habe. Ehrliche französische Landküche jenseits der Nouvelle Cuisine, regional, rustikal aber doch nicht ohne ein gewisses Maß an eleganter Raffinesse, so liebe ich das. Gut, mit geschmortem Huhn kann man bei mir immer punkten und alles, was mit Butter, Sahne und/oder Käse zu tun hat trifft einen Nerv bei mir, aber das hier ist einer jener magischen Momente, wo einfach alles passt. Wenige Zutaten von guter Qualität, großartiger Geschmack und als Bonus noch eine Hintergrundgeschichte, die zu erzählen es sich lohnt.


Poulet Gaston Gérard, manchmal auch Poulet à la moutarde de Bourgogne, ist ein zum Klassiker gewordenes Gericht aus dem Burgund, genauer gesagt der Stadt Dijon. Und mit moutarde de Bourgogne (Burgundersenf) ist dann auch schon eine der wichtigsten Zutaten unserer Sauce, nämlich der Dijon-Senf, genannt. Wer ist nun aber dieser Gaston Gérard? Fußballexperten, die auch mal über den Bundesligatellerrand hinausschauen kennen den Namen vielleicht vom Stadion des französischen Erstligisten FCO Dijon. Das heißt nämlich Stade Gaston Gérard. Nicht ohne Grund, möchte man meinen, denn besagter Monsieur bekleidete einige Zeit das Amt des Bürgermeisters der Stadt. Seine erste Ehefrau, Reine Genevière Bourgogne, war eine begeisterte und vor allem auch gute Köchin.

Wir schreiben also das Jahr 1930 und die Gérards haben Maurice Edmond Sailland, besser als "Curnonsky" bekannt, zu Besuch. Wer ist das denn nun schon wieder? Die Älteren unter uns mögen sich erinnern, Cur, so wie er auch genannt wurde, war ein bekannter Komiker und vor allem der bedeutendste Restaurantkritiker Frankreichs seiner Zeit, oft als "Prinz der Gastronomie" betitelt. Es sollte an diesem Abend geschmortes Huhn geben, doch da geschah es: ein Topf Senf fiel vom Regal und der Inhalt ergoss sich in den Bräter mit dem schon gebräunten Geflügel. Eine andere Version der Geschichte spricht von Paprikapulver, aber das ist ja eigentlich auch egal. Jedenfalls versuchte die Dame des Hauses der Blamage zu entgehen und das Ganze zu retten, indem sie Crème Fraîche, Käse und Wein hinzufügte. Mit Erfolg, denn Cur war so begeistert, dass er das Gericht spontan nach Gaston Gérard benannte - und nicht etwa nach seiner Frau, die das ja erfunden hatte, aber so war das damals halt. Wie immer gilt, wenn das auch vielleicht alles nicht wirklich so war, ist es zumindest gut erfunden. 


In Dijon nimmt man für dieses Gericht normalerweise ein Bresse-Huhn und davon vorzugsweise die Keulen. Wie das so ist, wenn ich dann mal eins brauche, gibt es keins, also habe mich mit Teilen einer Maispoularde aus guten Elternhäusern und mit einwandfreien polizeilichen Führungszeugnissen begnügen müssen. Für vier Portionen mit Beilagen:
  • 4 ganze Hähnchenschenkel
  • 3 Handvoll Comté (frisch gerieben - ersatzweise Gruyère oder französischer Emmentaler)  
  • 50 ml Weißwein (nicht im Bild)
  • 2 EL Dijon-Senf
  • 2 EL Crème Fraîche
  • 1/2 TL Paprikapulver edelsüß
  • Salz
  • Butter / Butterschmalz
Die Hähnchenschenkel am Gelenk in Ober- und Unterkeulen trennen. Bei letzteren hacke ich das untere knorpelige Gelenk (anatomisch der Knöchel) ab. Dass sieht dann nachher einfach schöner aus.  

Ofen schon mal auf 220° C Umluft vorheizen.


Huhn rundherum salzen und mit der Hautseite nach unten in einen Bräter oder ofenfeste Pfanne mit heißer Butter geben. Ein bisschen Butterschmalz hilft, dass das Fett nicht verbrennt.

Aufmerksame Beobachter und Mitzähler werden hier noch zwei große Brustfilets entdecken. Die sind für die Gattin, die weder Hühnerknochen noch Haut erfreulich findet.


Nach fünf Minuten wenden. Die Haut müsste jetzt goldbraun sein. Weitere fünf Minuten braten und dann für 20 Minuten in den Ofen geben. 


Huhn aus dem Ofen nehmen, auf einem Teller platzieren und beiseite stellen. Das sieht jetzt schon ordentlich aus. 


Nun verwandeln wir den Bratsud, von dem reichlich im Bräter zurückgeblieben sein sollte, in eine Art Käsefondue. Dazu stellen wir das Bratgerät bei mittlerer Hitze zurück auf den Herd, rühren gut zwei Handvoll Käse ein und lassen diesen schön schmelzen. 


Crème Fraîche, Senf und Paprikapulver dazu und alles gut vermengen. Der Senf hilft uns hier als Emulgator, der die normalerweise unvereinbaren Komponenten Fett und Flüssigkeit zu einer homogenen Masse verbindet. 


Das Huhn mit der Hautseite nach oben wieder einlegen, den restlichen Käse darauf verteilen und zurück ins Rohr, diesmal für zehn Minuten bei 200 Grad.


Dann sieht das so aus und möchte direkt aus dem Bräter essen.

Trennt sich die Sauce hier, kann man sie mit einem Schneebesen schnell wieder zusammenbringen, notfalls noch mit Hilfe eines weiteren Teelöffels Senf.


Dazu gibt es klassisch in Butter goldbraun geschwenkte kleine Kartoffeln, ruhig noch mit Schale und auf Wunsch der Gattin Rosenkohl. Ihr werdet euch auch Baguette dazu wünschen, um ja auch alles von der leckeren Sauce vom Teller in den Mund zu bekommen.


Was soll ich nun sagen? Mit der Kombination "Französische Küche" und "Huhn" kann man ja ohnehin kaum je etwas falsch machen und ich habe da selten etwas gefunden, was mir nicht geschmeckt hat. Es gibt aber noch seltener Momente, in denen man ehrfurchtsvoll schweigend etwas genießt. Nicht weil man meint, so gut gekocht zu haben, sondern eher in stiller Dankbarkeit für die Person, die dieses besondere Gericht kreiert hat. Das ist wie mit Smoke on the Water. Nachspielen kann das jeder, das ist klar. Ist aber nicht der Punkt. Die Brillanz liegt nicht im "es Nachspielen können", sondern darin, überhaupt erst mal die Idee gehabt zu haben. Mein Respekt gilt hier und heute Reine Geneviève Bourgogne. Merci, Madame.
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Flashback:



Heute vor drei Jahren: ...diese leckeren Teigtaschen mit Schafskäsefüllung

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