Freitag, 1. Februar 2019

Ragù alla genovese


Es ist schon seltsam. Da kann man noch so viele Kochbücher wie "die echte italienische Küche" kaufen und was steht drin? Minestrone, das x-te Rezept für Carbonara, ein Bolognese-Rezept, das den Namen nicht verdient, irgendein Salat mit Rucola oder "Saltimbocca mal anders". Laaaaangweilig. So etwas, wie das Ragù alla genovese aus einer Menge an geschmorten Zwiebeln und Fleisch, findet man gewöhnlich nicht. Dabei ist dieser Klassiker unglaublich lecker und bringt obendrein auch noch etwas Erzählstoff mit sich - Stichwort: Gerichte mit Geschichte.


"Genovese?" wird sich der aufmerksame Leser fragen. Ist das nicht eher was mit Basilikum und Pinienkernen, so wie Pesto alla genovese? Kommt das nicht aus Genua? Und hat der alte Mann nicht gestern irgendwas von Neapel gefaselt? Was ist denn hier los? Nun, ich habe es schon oft gesagt, beim Versuch, die italienische Küche als Außenstehender zu begreifen, kann man leicht wahnsinnig werden. Im Gegensatz zum Pesto ist das alla genovese hier keine Herkunftsbezeichnung, sondern ... ja was? Das weiß dummerweise keiner so genau. Was wir wissen ist, dass dieses Gericht in Neapel sehr beliebt ist und das schon seit 500 Jahren. In Genua selbst ist es weitgehend unbekannt und es ist auch eher unwahrscheinlich, dass es dort wirklich seinen Ursprung hat.

Eine Vermutung ist, dass das Ragù von genuesischen Köchen am neapolitanischen Hof zur Zeit der aragonischen Herrschaft im 15. Jahrhundert kreiert wurde. Eine andere Theorie, die mir persönlich sehr gefällt, geht davon aus, dass das Rezept ursprünglich aus Frankreich stammt und über Genua nach Neapel gelangte. In diesem Falle hätten wir es hier vermutlich sogar mit einer sehr ursprünglichen Form der berühmten Zwiebelsuppe, der Soupe d'Oignons zu tun. Die Zutaten, Zubereitung und der Geschmack könnten tatsächlich in diese Richtung verweisen.

Im Calvacanti, dem berühmten Kochbuchklassiker des 19. Jahrhunderts wird das Gericht als raguetto erwähnt. Aus dieser Zeit scheint auch die "endgültige" Version dieses Klassikers zu stammen.


Das Ragù bietet sowohl Futter für den ersten Hauptgang (primo piatto), als auch für den zweiten (secondo piatto). Als ersteres wird es ganz klassisch mit Pasta serviert. Traditionell sind es Ziti, eine lange, dickere Röhrennudel, die in diesem Fall vor dem Kochen mit der Hand zerbrochen wird. Die bekommt man hier aber nicht an jeder Ecke, aber Maccheroni, Rigatoni oder Pacherri tun es auch. Ich bin den Empfehlungen einiger italienischer Kochseiten gefolgt und habe mich für Penne entschieden und zwar lisce, also ohne Riffelung.

Für den primo vermischen wir einfach ein wenig von der Zwiebelsauce und ein paar Fleischfasern mit der Pasta, geben Parmesan darüber und fertig. Riesige Fleischberge auf Nudeln sind in Italien eher unbeliebt. 


Das Fleisch mit dem Rest der Sauce gibt es nämlich dann als secondo. Dazu reicht etwas Brot zum Stippen. 


Aber schauen wir uns erstmal an, wie das Ganze gekocht wird. Da dies zu den Gerichten gehört, die am besten schmecken, wenn man mehr davon zubereitet, will ich erst gar nicht versuchen, "für so und so viele Personen" zu schreiben. Kocht einfach eine Menge und friert den Rest ein. Es lohnt sich. Ich hatte hier:
  • 2 Möhren
  • 1 Stange Sellerie
  • 1 kg Kalbsbraten (nicht zu mager)
  • 1,5 kg Zwiebeln
  • 1 EL Tomatenmark (optional)
  • 1 Glas Weißwein
  • Petersilie
  • 1 Lorbeerblatt
  • Salz
  • Pfeffer
  • Olivenöl
Natürlich kann man auch Rindfleisch nehmen. In den meisten Rezepten steht das sogar so. Mit Kalbsfleisch wird das Ganze aber wesentlich feiner und sicherlich auch nicht weniger original. Kalbsfleisch ist in Neapel nämlich sehr beliebt. Wichtig ist nur, dass es kein teurer Zuschnitt sein muss.


Die Zugabe von Tomatenmark ist fakultativ. Mit wird es ein ragù rosso, ohne ein ragù bianco.



Wir kennen das Spiel: Karotte und eine kleine Zwiebel (es kommen ja später noch mehr davon) schälen und mit dem Sellerie fein würfeln. In Olivenöl bei moderater Hitze anschwitzen. Wir wollen keine Röststoffe, sondern nur glasiges Gemüse, dessen Stärke sich in Zucker verwandelt hat. Das dauert gut zwanzig Minuten. Die Fachkraft nennt das dann soffritto.  



Das Fleisch, das ich als ungewürzten Rollbraten bekommen habe, wird in vier bis fünf Zentimeter große Stücke geschnitten. Hitze erhöhen und die Würfel rundherum anbraten.

Als kleine Seitenbemerkung: ich bin mit den Brateigenschaften meines gusseisernen Schweden-Bräters mal wieder begeistert. Er speichert die Hitze sehr gut und auch bei viel Bratgut geht er auf der große Flamme des Gasherds nicht in die Knie. 


In der Zwischenzeit pellen wir die Zwiebeln. Wir brauchen etwa ein Kilogramm ohne Schale. Halbiert und in Streifen geschnitten, kommt das Lauchgewächs nun auf das Fleisch, das wir zuvor mit dem Tomatenmark vermengt haben. Das Glas Wein und ein weiteres Glas Wasser angießen, schon mal etwas salzen und pfeffern, Petersilie und Lorbeer dazugeben, Deckel drauf, Hitze auf kleine Flamme stellen und Pause machen.


Nach einer Stunde sieht das so aus. Es hat sich schon ordentlich Flüssigkeit gesammelt.


Nach zwei Stunden.


Nach drei Stunden ist das Fleisch zart und die Zwiebeln beginnen "marmeladig" zu werden.


Die Kalbstücke können nun vorsichtig aus der Sauce genommen und warm gestellt werden.


Kräuter herausfischen und entsorgen, Sauce noch etwas reduzieren. Abschmecken und fertig. Durch die langsam geschmorten Zwiebeln hat das eine schöne säuerliche Süße. Soffritto und Fleisch ergeben eine gute Brühe - insgesamt drängt sich tatsächlich der Vergleich zur Zwiebelsuppe förmlich von selbst auf.


Das Ragù.


Primo mit Pasta.



Secondo mit Brot. Eine Umami-Bombe sondergleichen. Schade, dass so was hierzulande so unbekannt ist. Aber vielleicht ändert sich das ja jetzt ...
____
Flashback:



Rezept vom 27.01.2018: Kohlrouladen aus Weißkohl

16 Kommentare:

  1. Es ist immer sehr schön deine Erklärungen über die italienische Küche zu lesen und deine Gerichte sind immer hervorragend , ich schätze dein Respekt unserer Kochkultur gegenüber. Penne Lisce sind auch bei uns nicht immer leicht zu finden, eher in Süditalien.
    Auch Ziti in den verschiedenen große findet man nicht überall.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo Lenchen,

      ich entnehme deinen Worten, dass du italienische Wurzeln hast oder sogar dort wohnst. (Oder bist du sogar Lena von Facebook?) Das macht deinen lieben Kommentar für mich noch wertvoller. Ich liebe die italienische Küchen(n), von Südtirol bis Sizilien. Die Unterschiede sind groß, aber die Idee, aus wenigen guten Zutaten etwas total Leckeres zu schaffen, ist was diese Art zu kochen ausmacht. Leider wird das hier in Deutschland (und auch in England und den USA) oft falsch verstanden. Dann werden Klassiker in Sahne ertränkt oder mit kiloweise Kräutern und Knoblauch verschandelt. Dagegen möchte ich einen Beitrag leisten, denn die italienische Küche hat besseres verdient.

      Löschen
  2. Mal ganz langsam....
    Es gibt nur ganz wenige Gerichte, die nach EINEM gültigen Rezept zubereitet werden sollten.
    Zum Beispiel das Wiener Schnitzel.
    Aber Saucen oder Ragouts haben hunderte Möglichkeiten, sie als schmackhafte Zugabe zu kochen und zu genießen.
    Also mal ganz langsam...
    😊☺🙄😏😏🤔

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Da kann ich die nur bedingt zustimmen. Das Ragù alla Bolognese ist zum Beispiel klar definiert. Es gibt ein offizielles Rezept der Stadt, das als "ricetta originale" Gültigkeit hat. In Bologna versteht man wenig Spaß, wenn man da mit Kräutern, Knoblauch oder sonst was rangeht. Kann man natürlich machen, dann ist es aber keine Bolognese mehr, sondern vielleicht ein "Ragù alla Toscana".

      Ähnlich verhält es sich mit den Römern und ihrer geliebten Carbonara. Da gibt es unter Fachleuten keine zwei Meinungen, wie es zu gehen hat. Im Allgemeinen sind die Italiener da sehr traditionsbewusst und mögen es gar nicht, wenn man ihre Klassiker "verfeinert".

      Löschen
  3. Teils teils ....
    Ich persönlich würde niemals einen fertig gewickelten Kalbsrollbraten kaufen...
    Da fängt es doch schon an!
    Horrido...
    😏☺😊🙄

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wieso nicht? Es war ungewürztes, pures Fleisch, das nur in Form gebunden war. Außerdem da einzige nicht magere Stück Kalbsfleisch, was der Metzger vorrätig hatte.

      Das "Teils teils" verstehe ich nicht.

      Löschen
  4. Teils teils....
    Was ich damit sagen wollte:
    Der eine kauft niemals fertig verpacktes Fleisch ein, dem anderen ist es in diesem Fall einfach egal.
    So soll es sein!
    🙄🙄😏😏😏😊

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Es war ja nicht verpackt oder gar eingeschweißt, sondern lag offen in der Fleischtheke, nur mit Metzgergarn in Form gebracht.

      Löschen
  5. Trotzdem bleibt es ein Blindkauf...
    😏😏

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Jetzt ist esan mir "Mal ganz langsam" zu schreiben.

      Was soll daran "blind" sein, wenn ich beim Kauf sehe, dass ein entbeintes Schulterstück rund gebunden statt flach ist? Ich sehe doch trotzdem das Fleisch-/Fettverhältnis und lasse mir verschiedene Stücke von allen Seiten zeigen und wähle dann aus. Es ist ja nicht so, dass ich verpacktes Zeugs vom Discounter kaufe. Wenn ich im italienischen Feinkostladen pancetta arrotolata kaufe, ist der auch aufgerollt. Ich verstehe jetzt hier dein Problem nicht.

      Löschen
  6. Ich hätte auf Fricando bestanden....
    Oder auf einer wunderbaren Rinderhüfte.
    Das ändert letztlich aber auch nichts an deinem tollen Rezeptvorschlag.
    Ich bin wirklich impressed ...
    😏😏🙄😏☺😊

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Fricandeau wäre mir hierfür zu mager, das wird dann strohtrocken. Für Schnitzel perfekt, aber nicht zum Schmoren. Rinderhüfte ist gut, aber Kalb wir in Neapel sehr oft genommen. Für Schmorgerichte mit Rind, warte auf heute Abend.

      Löschen
  7. Das gehört beim Kochen einfach dazu:
    Ein Fricando zart zaubern.
    Die eingedeutschte Formulierung geht nicht so weit wie die sprachgewaltige Dame in der Metzgerei neben mir:
    Bitteschön die Dame???
    Ein Schattobriand ....
    🙄😏😏😏☺😊

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich habe es beim Metzger aufgegeben, Rumpsteak richtig auszusprechen und verlange gleich von vorherein nach RUM-Schtäk. Dazu gebratene Zu-djinie und ein Schia-battabrot.

      Löschen